Das Undine-Syndrom

Evas sekündliches (Über)Leben mit dem Undine-Syndrom

   
 
Der Name "Undine Syndrom"wird meist im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet. Er stammt ursprünglich aus der griechischen Mythologie. So einfach wie in dieser Mythologie ist es in unserem Leben jedoch nicht. Für uns bedeutet es ständig Gefahr. Daher benutzen wir den medizinischen Namen, der genau aussagt, was "CCHS" ausmacht:

C C H SCongenitales Centrales Hypoventilations Syndrom
"C" steht für Congenital und bedeutet "Vor der Geburt entstanden / angeboren".
Es ist ein Chromosom-Fehler des PHOX2B Gens im 4. Chromosom p-Arm.
"C" steht für Central und bedeutet, dass die zentrale Steuerung vieler Körperfunktionen gestört ist.
"H"steht für Hypoventilation und bedeutet Zu wenig Atmung / Atemzüge oder das Aussetzen der Atmung.
"S" steht für Syndrom:
Eine Kombination verschiedener Krankheitszeichen / Erkrankungen.

"CCHS" ist eine neurologische Störung, die das zentrale Nervensystem betrifft. Selbstverständlichkeiten, wie z.B. Atmung,Herzschlag, die Regulierung der Körpertemperartur etc. sind bei Menschen mit CCHS gestört.

Gegen CCHS als angeborener Gen-Defekt - ebenso wie bei anderen Gen-Defekten - gibt es keine Medikamente; weder eine OP noch andere moderne, medizinische Möglichkeiten können helfen. Gene sind Bestandteil jeder einzelnen menschlichen Zelle. Der Defekt existiert also in jeder menschlichen Zelle von betroffenen Menschen.
Gen-Defekte wie CCHS begleiten betroffene Menschen das gesamte Leben.

In Deutschland sind z.Z. etwa 100 Menschen von CCHS betroffen ( Quelle: Undine-Syndrom.de ). Weltweit wird die Anzahl auf ca. 1.500 Betroffene geschätzt. Dieses ungwöhnliche Verhältnis liegt darin begründet, dass in Teilen der Welt CCHS nich bekannt ist, bzw. nicht erkannt oder nicht behandelt werden kann.

Meine Mama berichtet im folgenden "nur" über die wichtigsten bzw.permananten Auswirkungen des CCHS bei mir. Die Bandbreite bei anderen Betroffenen ist sehr unterschiedlich. Manche haben nur das Problem der Atmung, andere - wie z.B. ich - haben sehr viel weitreichendere Auswirkungen, die mir auch gegenseitig mein Leben - und das meiner Familie und Begleiter - sehr schwer machen:


Atmung


Nach einer Zahn-OP
Unser Körper arbeitet ganz autonom, das heißt, dass er sich selbständig reguliert, wann er atmet. Nie denken wir darüber nach. Wir atmen Sauerstoff ein und Kohlenstoffdioxid wieder aus.
  • Laufen wir schnell...
  • strengen wir uns an...
  • arbeiten wir schwer...
  • haben wir viel gegessen...
... dann reguliert der gesunde Körper dies und passt sich an. Die situativ angepasste Atmung agiert anders, als würden wir einfach nur ruhig im Sessel sitzen.

Bei Menschen wie Eva ist dies nicht der Fall. Das Gehirn erkennt dann den Anstieg des Kohlenstoffdioxides nicht und reagiert nicht passend darauf. Für die ganz normale Lebenssituation reicht die Atmung im Wachzustand meistens aus. Kommt eine größere Belastung - wie bei Eva zum Beispiel im Sportunterricht - reagiert die Atmung nicht mehr angepasst und wir müssen Eva zur Seite nehmen. Sie muß sich ausruhen, wir müssen ihre Atmung überwachen und sie gegebenenfalls auch im Wachzustand beatmen.

Ist Eva zum Beispiel erkältet oder hat einen Magen-Darm-Infekt oder ähnliche Erkrankungen, die für gesunde Menschen keinerlei Gefahr darstellen, ist auch hier die Atmung nicht mehr ausreichend und Eva muss beatmet werden. Egal, ob sie wach ist oder schläft.

Die Beatmung ist nicht auf die Nacht festgelegt sondern auf aktuelle Zustände, in denen der Körper die Atmung nicht angemessen regulieren kann. Wir schlafen beispielsweise auch tagsüber manchmal. All das geht für Menschen mit CCHS nicht so einfach.
Einfach mal kurz hinlegen und ausruhen?
Einmal kurz am Tisch die Augen zu machen?
Einmal ein Buch lesen und darüber eindösen?
Bei Eva droht dann sofort Lebensgefahr!

Um Eva bestmöglich zu beatmen, bekam sie 31 Tage nach ihrer Geburt 2013, einen Luftröhrenschnitt - das Tracheostoma. Dort war eine Kanüle, an der die Beatmung angeschlossen wurde. Bis Juni 2019 begleitete uns dies. Dann wurde es auf Evas Wunsch hin verschlossen und sie musste auf die Maskenbeatmung umgestellt werden. Es war ihr Wille! Sie wollte eben so aussehen, wie die anderen Kinder auch und hat all das tatsächlich geschafft.
Die Maske bringt nun ganz andere Probleme mit sich und nicht zuletzt auch die Gefahr der Verformung des Gesichts, da die Maske täglich viele Stunden auf Evas Gesicht sitzen muß.
Das grundlegende Problem - die Atmung betreffend - ist, dass auch die CO2 Chemorezeptoren in Evas Gehirn nicht richtig arbeiten. Dies ist ein komplizierter chemischer Vorgang. Unbeeinflussbar von außen.

Herzschlag


CCHS-Fachzentrum / München
jährliche Anpassung der Beatmung
Normalerweise schlägt unser Herz lebenslang regulär bzw.situativ angepasst. Anders bei Menschen mit CCHS.
Als Eva kleiner war, brach sie oft kurz zusammen und man hielt es für epileptische Anfälle. Seit dem 3. Lebensjahr fahren wir jedes Jahr in das Münchner Fachzentrum für CCHS.. Dort werden mehrere Fälle mit CCHS aus ganz Europa behandelt.
Dieser Erfahrungsschatz der Ärzte ist eine sehr große Hilfe im Umgang mit der Erkrankung. Dort wurde immer auch ein 72-Stunden EKG gemacht. Dabei fiel das erste Mal auf, dass Eva eine Herzpause ( Sinusarrest ) hat. Danach entschlossen wir uns, einen Event-Recorder implantieren zu lassen. Dies ist mit einem kleinen Schnitt in die Haut getan und somit wird ein permanentes EKG geschrieben und wird über ein WLAN Netz auch immer direkt an die Klinik - in unserem Fall die Medizinische Hochschule Hannover - weitergeleitet.
Wenn Eva also wieder einen Zusammenbruch hatte, konnten wir in der MHH anrufen, wo sofort online ausgelesen wurde, wo das Problem lag, z.B. wie lang die aufgetretene Herzpause war. Diese steigerten sich langsam. Erst waren es 2,7 Sekunden, später über 5 Sekunden, zum Schluss knapp 8 Sekunden Herzpause. An dem Tag, als Eva eine Herzpause von knapp 8 Sekunden hatte und bewußtlos zusammebrach war klar: Eva braucht sofort einen Herzschrittmacher.

Da sie noch zu klein war für die Operation über ein Blutgefäß vom Schlüsselbein aus, musste der Brustkorb geöffnet werden. Das war eine sehr schwere und auch sehr schmerzhafte Operation für Eva. Diese Operation muß leider jedesmal neu erfolgen, wenn die Batterie des Herzschrittmachers sich leert.

Körpertemparatur


Eva kurz vor einer OP
Evas Körper kann weder Kälte noch Wärme gut regulieren. Auch nimmt Eva selbst Temperaturen gänzlich anders wahr, als es normale Menschen tun. Ist es heiß, hat Eva eine hohe Körpertemperatur, die vielleicht als Fieber erkannt werden würde. Ist es kalt, kann Evas Körpertemperatur unter 36° C fallen.
Wir geben Eva Medikamente gegen Fieber ab einer Temperatur von 37,6° C, weil ihr Körper 2 Stunden bentigt, um das Fieber zu senken und um auf die Medikamente zu reagieren.
Bei der letzten Erkrankung war ihre Körpertemperatur innerhalb von 30 Minuten auf 40°C gestiegen, ihr Sauerstoffgehalt auf 60% ( normal sind ca. 95-99% ) gefallen und ihr CO2-Wert war auf über 60 mmHg ( normal sind 35-46 mmHg ) gestiegen.

Von außen betrachtet war Eva eben noch ein fröhliches, gesundes Kind, plötzlich ist alles anders - bis lebensbedrohlich. Wir müssen sofort raegieren: Die Beatmung anschließen, hier die Werte an die jeweils erschwerte Situation anpassen und versuchen, Eva bestmöglich zu beatmen. Das Wissen, immer angepasst reagieren zu müssen, begleitet uns permanent.

Zähne

Evas Milchzähne waren sehr schwach aufgebaut und hatten nur sehr wenig Zahnschmelz. Sie waren sehr schnell wie Sandstein abgeschliffen, obwohl Eva keine feste Nahrung zu sich nahm.
Dies führte dazu, dass Ihr bis zu ihrem 3. Lebensjahr in 3 Operationen alle Zähne gezogen werden mussten. Inzwischen hat Eva mit 9 Jahren ( 2022 ) wieder 8 bleibende Zähne.
Wir freuen uns auf die nächsten Zähne und hoffen, dass damit alles gut geht. Dies beeinträchtigt natürlich auch die Nahrungsaufnahme nachhaltig.

Augen

Die Pupillen reagieren nicht angemessen und nicht schnell genug auf aktuelle Lichtverhältnisse und den Ein- bzw. Wegfall von mehr oder weniger Licht. Hinzu kommt eine Sehschwäche, die mit einer Brille behoben werden konnte.

Schmerzempfinden

Eva hat durch CCHS kein normales Schmerzempfinden. Wenn Eva stürzt, sich stößt, geht sie darüber einfach hinweg. Ob dies Auswirkungen hat, müssen wir dann bestmöglich von außen beurteilen.
Besuche beim Kinxderarzt bzw. dessen einfache Fragen, wie z.B. "Wie geht es Dir...", kann Eva nicht umfassend beantworten.

Essen / Trinken / Verdauung

Eva hat, bis sie 5 ½ Jahre alt war, ausschließlich flüssige, medizinische und hochkalorische Kost zu sich genommen. Dann waren wir bei der Delphin-Therapie. Vollkommen unerwartet begann Eva dort plötzlich von sich aus zu essen und hat seit dieser Zeit nie wieder medizinische Nahrung benötigt.
Aufgrund der fehlenden Zähne kann sie natürlich nicht alles essen und auch das Zerkleinern der Nahrung ist nicht ausreichend. Sie schluckt viel zu große Stücke. Dies ist durch die Beeinträchtigungen der Bewegung in der Speiseröhre für sie möglich.
Hungergefühl und Sättigung sind ebenfalls beeinträchtigt. Eva kann den ganzen Tag nichts essen, was ihr auch gar nichts ausmacht. Wenn sie isst, hat sie keinerlei Maß dafür, wieviel sie essen kann und wann ihr Magen gefüllt ist. Wir müssen dies dann begrenzen.
Essen mag Eva fast ausschließlich nur kalt.